Der Klang

Die Harmonie der Intervalle folgt dem Prinzip der einfachen rationalen Verhältnisse von Frequenzen \frac { 1 } { 2 } , \frac { 2 } { 3 } , \frac { 3 } { 4 } , \frac { 3 } { 5 } , \frac { 5 } { 6 } , \dots usw.

Die Begründung liegt im menschlichen Ohr, das mit Trommelfell, Hammer – Amboss etc. …, eine nichtlineare Übertragungskette[1] darstellt und damit automatisch zu einer Grundschwingung mit der Frequenz f auch deren Oberschwingungen mit den Frequenzen 2 \times f , 3 \times f , 4 \times f , \ldots usw. hinzufügt. Diese Oberschwingungen erklingen immer gleichzeitig und enthalten damit Zähler und Nenner der rationalen Brüche und bilden damit auch die Töne der harmonischen Intervalle. Das Gehirn nimmt diese Obertöne und harmonischen Intervalle automatisch wahr und erzeugt  im Kopf ein besonderes Harmonieempfinden, wenn ein Akkord, also mehrere gleichzeitig erklingende Töne, diese harmonischen Intervalle bereits selber anbietet: ein harmonischer Klang  reflektiert dieselben Harmonien, die bereits in jedem einzelnen Ton (mit reinen Obertönen) enthalten sind.

Musikalische Harmonie hat damit eine mathematische Grundlage.

Selbstverständlich muss man die Mathematik nicht kennen, um Musik als schön zu empfinden. Sie hilft aber, Zusammenhänge zu verstehen.

  Grund- Intervall Darstellung   = Frequenz- verhältnis
       
Oktave Ok 2:1 2:1
Quinte Q 3:2 3:2
Große Terz T 5:4 5:4
       
Abgeleitete Intervalle      
       
Quarte Ok − Q 2:1 / 3:2 4:3
Kleine Terz Q − T 3:2 / 5:4 6:5
Große Sexte Ok + T − Q 2:1 x 5:4 / 3:2 5:3
Ganzton 2Q − Ok 3:2 x 3:2 / 2:1 9:8
Große Septime Q + T 3:2 x 5:4 15:8

Tab. 1: Das Quint –Terz System der reinen Stimmung

Wir beginnen mit der Visualisierung des Tonsystems und der Intervalle. Wir stellen Töne und Intervalle auf einem Kreis dar und betrachten die Länge der sie verbindenden Kreisbögen. Diese repräsentiert den Logarithmus aus dem Frequenzverhältnis. Ein Ganzkreis mit der Bogenlänge 2 \pi entspricht dem Frequenzverhältnis 2 : 1 und symbolisiert die Oktave.

Es gibt jetzt zwei Möglichkeiten, den Kreis zu unterteilen:

  1. Unterteilung in die Töne einer Skala
  2. Unterteilung in die als harmonisch gehörten Intervalle
Tonsystem C-dur

Abb. 1: Darstellung von Tonskalen auf dem Oktavkreis[2]

die Bogenlänge entspricht dem Höreindruck des Intervallabstands

gleichstufige Temperierung: dünne Linien

reine Stimmung C-dur: Punkte

C-dur Skala in gleichstufiger Temperierung: dicke Linien

Punkte auf dem Kreis stellen das Frequenzverhältnis eines Intervalls in logarithmischer Darstellung dar. Die Begründung liegt in der menschlichen Hörphysiologie: ein Mensch empfindet zwei Tonintervalle als gleich, wenn das Verhältnis der Frequenzen übereinstimmt. Das e über dem Kammerton a mit 440 Hertz liegt um 3/2 höher, also bei 660 Hertz und wird ebenso als reine Quint empfunden, wie ein h mit 990 Hertz über dem e. Die Abstände der Frequenzen in den beiden Quinten sind mit 220 bzw. 330 Hertz sehr unterschiedlich, aber ihr Verhältnis ist mit 2 / 3 gleich!

 Dahinter steckt eine logarithmische Abhängigkeit, die nicht nur für das Empfinden von Tonhöhen, sondern alle menschlichen Sinneseindrücke gilt: eine physikalische lineare Dynamik wird logarithmisch wahrgenommen, das Weber-Fechner‘sche Gesetz. Dazu zählen Frequenzen, Lautstärke, Helligkeit, Tastsinn, Schmecken, Riechen und Fühlen. Nur dadurch gelingt es dem Hirn, sich über mehrere Größenordnungen einer Signalstärke sinnvoll zu orientieren. Ein Beispiel: 5 Punkte / Dekade bringen uns in einer logarithmischen Auflösung mit 40 Speicherplätzen über 8 Dekaden, 5 Punkte in der ersten Dekade linear statt logarithmisch fortgesetzt, erfordern hingegen 50 Millionen Speicherplätze!

Mit dieser logarithmischen Metrik werden die harmonischen Intervalle aus Tab. 1 dargestellt, ganz oben der Grundton:

Tonleiter

Es zeigt sich, dass die sieben Töne der wichtigsten Intervalle den Kreis recht gut füllen. Die Verteilung auf dem Kreis erscheint etwas ungleichmäßig, lässt aber keine übermäßig großen Lücken. Es zeigt sich, dass ein Musizieren mit allein diesen 7 Tönen (plus deren Oktaverweiterungen) unserem Hirn bereits recht gefällige Höreindrücke vermittelt. Eine Tonleiter ist geboren!

Fange ich mit dem Ton c oben an, habe ich C-dur. Beginne ich mit der Skala nicht oben, sondern zwei Töne links davon (gegen die Uhr), habe ich a – Moll. Die beiden Skalen verwenden dieselben Töne und beginnen einmal auf dem Grundton c, für C – Dur, und einmal auf a, für a – Moll.

Es zeigt sich, dass das Musizieren nur in C-dur oder a-moll bald langweilig wird. Man möchte eine Harmonie auch auf den anderen Tönen der Skala beginnen lassen.

Versuchen wir es mit dem d, dem ersten Ton in der C-dur Skala. Wir drehen die C-dur Skala gegen den Uhrzeigersinn, bis das d oben steht…

Tonskala

… und beginnen die Skala beim d:

Diese Skala klingt nicht gut! Warum?  Weil deren Töne (außer dem d) jetzt nicht mehr auf den Harmoniepunkten liegen! Sie wurden vorsichtshalber bereits mit hohlen Punkten dargestellt. Einige liegen weit entfernt. Die folgende Abbildung mit den neuen Tönen (hohl) und den von d ausgehenden harmonischen Intervallpunkten (voll) zeigt es:

Die Töne e, g und h liegen immerhin noch recht nahe bei einem Harmoniepunkt. Der Ton d liegt exakt, denn so hatten wir die neue Skala ja begonnen. Die Töne f und c liegen weit von einem Harmoniepunkt entfernt. Wir drehen jetzt das f um fast genau die halbe Strecke[3] zum g weiter auf den nächsten Harmoniepunkt und machen das gleiche mit dem c. Wir geben diesen verschobenen Tönen vorerst die neuen Namen fd und cd.

Die neue Skala sieht jetzt so aus:

Jetzt klingt sie schon einigermaßen. Perfekt klingt sie, wenn wir die kleinen Fehler dadurch ausgleichen, dass wir alle Töne exakt auf die Harmoniepunkte legen. Sie ändern dann Ihre Höhe und bekommen deshalb neue Namen.

Durch diese Operationen wurden das alte f und c stark verschoben und bekommen den Namen ♯fd und ♯cd. Alle anderen geänderten Töne werden mit dem Index d versehen.

Die Skala sieht jetzt so aus:

Jetzt haben wir wieder eine perfekte Tonleiter. Wir nennen Sie d-Dur. Wir sehen, dass hd-moll jetzt genau so klingt wie zuvor a-moll, nur eben beim hd beginnend. Alles perfekt rein und harmonisch! Allerdings mussten wir den Nachteil in Kauf nehmen, dass jetzt geringfügig geänderte Tonhöhen erscheinen. Ein erstes Ärgernis sind die neuen Namen. Und es werden mehr, wenn wir eine weitere Skala aufbauen, zum Beispiel die auf dem zweiten Ton der c-Dur Skala, also dem Ton e, beginnende. Wieder neue Töne, diesmal mit Index e, usw. … . Bei jeder neuen Skala kommen 6 neue Töne hinzu.

Eine Möglichkeit, mit diesem Problem umzugehen, liegt darin, nur die Töne einer bestimmten Skala zu nehmen und die Indizes einfach wegzulassen. Bei c-Dur hatten wir das ohnehin schon gemacht. Man spielt die neuen Tonarten dann einfach mit den Tönen der c-Dur Skala und nimmt die kleinen Fehler in Kauf: Es ‚reibt‘ dann an manchen Stellen etwas im Gehör. In der Notation lässt man die Indizes einfach weg. So machen wir es jetzt mit unserer d-Dur Tonleiter: wir lassen die Indizes weg und gehen davon aus, dass der Musiker aus dem Zusammenhang der Komposition erkennt, in welcher Tonart er sich befindet um dann, falls möglich, die kleinen Korrekturen selbständig vorzunehmen. Auch bei den stark verschobenen Tönen ♯fd und ♯cd lassen wir den Index weg und schreiben ♯f und ♯c, gesprochen fis und cis:

Ich ergänze die Töne der c-Dur Tonleiter um die stark verschobenen Töne ♯f und ♯c. Wenn ich nach der d-Dur Tonleiter nach gleichem Verfahren andere Tonleitern einführe, werden weitere neue Töne erscheinen.

Wenn ich nur den stark zu verschiebenden Tönen neue Namen gebe, also ♯d, ♯g und ♯a zum Beispiel und diese ebenfalls zur c-Dur Skala hinzufüge erhalte ich folgende Skala:

Ich kann damit in jeder Tonart rein musizieren, muss nur wissen, in welcher Tonart die Komposition notiert ist und mein Instrument entsprechend stimmen und die Töne sauber, also entsprechend den exakten Harmonien der geltenden Tonart stimmen, oder ‚rein[4]‘ singen.

Historisch haben sich Konventionen gebildet, wie man die gewünschte Tonart in der Notation abzubilden hat. Und weitere Konventionen, die von uns nonchalant gleich benannten (leicht) unterschiedlichen Töne nun doch noch unterschiedlich zu benennen. Es entstanden dann die feinen Unterschiede zwischen einem ♯c und einem ♭d und hübsche Notenbezeichnungen wie zum Beispiel ♯e (eis), ♭f (fes),♭♭ e (eses), ♯♯c (cisis) und manche mehr …

Nach den Tonarten nun zu den Stimmungen[5].

Nehmen wir wieder an, ich hätte oben die für c richtige Frequenz stehen. Wenn ich im Kreis dort anfange und einmal ganz herumgehe, habe ich eine c-Dur Tonleiter. Die anderen Stimmungen (zum Beispiel Moll oder äolisch oder ionisch, oder wie all diese zwölf unterschiedlichen Stimmungen heißen) ergeben sich noch einfacher dadurch, dass ich nur an der richtigen Stelle mit meiner Tonleiter beginnen muss. Wenn ich zB bei a mit meinem Kreis beginne, bekomme ich a-moll. Das ist die sogenannte Paralleltonart zu c-Dur. Die Stimmung wird mit dem Tonbuchstaben benannt, bei der sie beginnt. Die zur c-Dur Skala gehörenden 6 anderen Stimmungen tragen also die Namen aller vorkommenden Töne, darunter zB d – dorisch oder e – phrygisch.

Hier könnte man aufhören und mit den nun gebildeten 7 + 11 x 6 = 73 Tönen / Oktave in jeder beliebigen Tonart und Stimmung sauber musizieren. Wenn ich von einer Tonart in eine andere wechsle, muss ich die der jeweiligen Tonart entsprechenden Töne verwenden.

Nehmen wir an, wir befinden uns in einer reinen Stimmung und nehmen wir beispielhaft weiter an, es sei c-Dur. Alles ist dafür eingerichtet, also die Literatur / Noten (ein in c-Dur geschriebenes Stück, also die Beschreibung dessen, was zu spielen ist) und auch die Instrumente, auf denen gespielt wird, also zum Beispiel ein Klavier, das nur die weißen Tasten hat und eine c-Flöte. Jetzt könnte ja der Komponist auf die Idee kommen, in seiner Komposition irgendwann einmal auf einem anderen Grundton die zugehörige Tonleiter und damit zusammenhängenden Intervalle erklingen zulassen. Vielleicht möchte er es gerne haben, dass jetzt, ab hier, sein Werk nicht mehr in c-Dur, sondern in d-Dur erklingt, der einen Ganzton höher beginnenden Skala. Das wäre prinzipiell / konzeptionell immer noch machbar: er müsste eine Fußnote einfügen, die sagt, ab hier alles bitte einen gewissen Frequenzfaktor höher stimmen und dann einfach weiterspielen, schon wäre die Sache erledigt.

Schwieriger wird es, wenn diese Wechsel schnell erfolgen. Noch schwieriger und damit unlösbar wird es, wenn bestimmte Akkorde gewollt nicht mehr einer einzigen Tonart zuzurechnen sind, sondern spielerisch zu zwei Tonarten gehören sollen. Dadurch entsteht beim Hörer ein besonderes Spannungselement, das eine Komposition noch interessanter und schöner machen kann. Wie nur kann man diesen Wunsch erfüllen?

Jetzt geht es nicht mehr durch das Umstimmen von einer in die nächste Tonart, denn beide sollen ja gleichzeitig erklingen. Der Hörer soll nicht ahnen, in welcher Tonart sich die Komposition gerade befindet und in eine gespannte Neugierde versetzt werden.

An einer Lösung wurde Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende lang gebastelt, eine perfekte Lösung aber bis heute nicht gefunden. Eine auf den meisten Instrumenten heutzutage implementierte Lösung ist die sogenannte gleichstufige Temperierung. Unter einer Temperierung versteht man die Änderung der auf dem oben eingeführten Oktavkreis dargestellten Töne so, dass sie zwei Bedingungen gleichzeitig erfüllen.

  1. die Töne sollen möglichst nahe bei den Harmoniepunkten liegen
  2. es sollen wenige sein (zum Beispiel zwölf)

Wir suchen nach einer Struktur in der Verteilung der Harmoniepunkte auf dem Kreis. Sie wird deutlich, wenn wir Kreis und Harmoniepunkte um ein regelmäßiges Zwölfeck ergänzen:

Gleichstufige Temperierung und Harmoniepunkte

Es fällt auf, dass alle Harmoniepunkte recht nahe bei einem Punkt des Zwölfecks liegen!! Also ist es naheliegend, eine Skala mit Tönen aufzubauen, die exakt auf dem Zwölfeck liegen.

Das folgende Bild zeigt die Situation:

Tonskala mit Tönen, die exakt auf dem Zwölfeck liegen

Zur Erinnerung: Skala = Striche, reine Harmonien = Punkte.

Der erste Strich der Skala trifft den Harmoniepunkt exakt, so richten wir es ein. Alle anderen Striche treffen mehr oder weniger gut. Der vierte Strich der Skala (links unten) trifft ziemlich gut: er verfehlt den Harmoniepunkt nur um 2% eines zwölftel Vollkreisbogens[6].

Man sieht sehr schnell, dass folgende einfache Symmetrieoperation möglich ist: die Verschiebung des dritten Skalentons im Uhrzeigersinn um 1/12 (einen zwölftel Vollkreisbogen) …

Quintenzirkel Symmetrieoperation

… und dann Rotation der Skala um 5/12 im Uhrzeigersinn:

Symmetrieoperation Quintenzirkel

Alles sieht so aus wie oben, vor Beginn der Symmetrieoperation. Wir haben die gleiche Skala mit gleichen Abständen der Töne von den neuen Harmoniepunkten[7]. Nur habe ich jetzt oben einen anderen Grundton. Er liegt um 7/12 des Vollkreisbogens[8], also eine (gleichstufig temperierte) Quint, höher.

Die wiederholte Anwendung dieser Konstruktion lässt alle 12 Töne unseres Tonsystems am rechts unten liegenden Halbtonschritt vorbeiwandern und einen anderen Ton nach oben gelangen, den neuen Grundton. Ich bekomme 12 Tonarten. Weil ich jedes Mal um eine Quint verdrehen muss, sind diese Töne, die durch Vorzeichen geändert werden, nicht aufeinanderfolgend, sondern jeweils um eine Quint voneinander getrennt.

Die Modi bekommen wir durch Wahl des Startpunkts der Skala.

Die Aufteilung der Oktave in 12 gleiche Intervalle ist die heute geläufigste sogenannte gleichstufige Temperierung. Sie erlaubt es, mit nur 12 Tönen alle 12 Tonarten und 7 Modi zu musizieren und gestattet jedwede Modulation zwischen ihnen.

Aber kein einziges Intervall erklingt mehr rein!


[1] Das Ergebnis ist nicht einfach proportional zum Signal, sondern enthält auch dessen Quadrat und höhere Potenzen.

[2] Das Bild wird im folgenden Text erläutert.

[3] auf die Mitte des Kreissegments zwischen den oben abgebildeten Punkten f und g

[4] Das geht nur a capella!

[5] Manchmal auch Modi genannt. Gemeint sind Dur, Moll und die anderen Kirchen’tonarten‘ wie dorisch, phrygisch, …

[6] Ein übliches Maß ist die Zuweisung von 1200 cent für den ganzen, also 100 cent für den zwölftel Kreisbogen. Die Abweichung des vierten Tons der Skalenquint von der harmonischen Quint ist damit 2 cent.

[7] Neu, weil die Symmetrieoperation um 2 Cent kürzer als die reine Quint dreht und der neue Grundton damit nicht auf einem Harmoniepunkt der alten Skala liegt. Um Verwirrung zu vermeiden, lassen wir die Harmoniepunkte in den Grafiken zur gleichstufigen Temperierung weg.

[8] 700 Cent